Die Stimmung von Tasteninstrumenten ist immer mit Kompromissen verbunden. Man kann nicht alle Intervalle rein stimmen. Stimmt man zwölf reine Quinten übereinander, erreicht man den sieben Oktaven höher liegenden Ausgangston. Die zwölf reinen Quinten liegen aber um einen 1/2 Halbton, dem pythagoräischen Komma (pK), über den sieben reinen Oktaven. Zeichnerisch dargestellt bilden die zwölf reinen Quinten also eine Spirale, die sich nicht schließt. Man muss also z.B. alle Quinten etwas kleiner machen, damit sich die Spirale zu einem Kreis, dem Quintenzirkel schließt.
Dieser Überschuss (pK) muss innerhalb einer Oktave verteilt werden. Das kann man ganz unterschiedlich handhaben. Bei der Art und Weise, wie man diesen Überschuss verteilt, spricht man von den unterschiedlichen musikalischen Temperaturen. Man kann das Augenmerk auf möglichst viele reine bzw. harmonische Quinten, Quarten oder Terzen legen, damit man bestimmte Tonarten sehr gut bis gut verwenden kann und andere Tonarten wiederum weniger gut bis sehr schlecht. Dadurch entsteht eine Tonartencharakteristik, mit der man ein eindrückliches „musikalisches Theater“ veranstalten kann. Komponisten der Barockzeit haben sich dessen bedient, wenn sie Stücke schrieben, die von einem Idyll (z.B. Hirtenszene) ausgingen und sich in den harmonischen Tonarten aufhielten. Mit dem aufkommenden Gewittergrollen bewegten sie sich in die etwas lebhafteren Tonarten um anschließend das Gewitter und den Sturm mit den unharmonischen bis unerträglichen Tonarten auszudrücken. Mit dem Abziehen des Gewitters kehrten sie nach und nach wieder in die harmonischen Tonarten zurück.
Heute ist bei den meisten unserer modernen Tasteninstrumente die gleichstufige Temperatur vorherrschend. Alle Quinten werden kleiner und alle Quarten entsprechend größer gemacht, damit alle Tonarten gleich „gut“ spielbar werden. Damit verschwindet die oben beschriebene Tonartencharakteristik. Das macht die Wiedergabe von Stücken der Vorklassik weniger authentisch und in gewisser Weise „langweilig“. Andererseits will man sich nicht allzu sehr einschränken, indem man musikalische Temperaturen wählt, die für neuere Kompositionen ungeeignet wären.
Ein gangbarer Kompromiss sind Temperaturen, die nicht allzu weit von der gleichstufigen entfernt sind und doch ein etwas anderes Hörerlebnis bieten, bzw. den Spieler beim Improvisieren bestenfalls zusätzlich inspirieren können. Solche Temperaturen sind Valotti (van Bietzen), Young (shifted Valotti), Bach nach Kellner und im besonderen Maße Marpurg X (römisch 10). Friedrich Wilhelm Marpurg (1718-1795) war ein Musiktheoretiker und Komponist, der 1790 bei Gottlieb August Lange in Berlin sein Buch über die „Neue Methode allerley Arten von Temperaturen dem Claviere aufs bequemste mitzutheilen“ veröffentlichte. Darin sind zwölf verschiedene Temperaturen beschrieben. Die zehnte Temperatur zeichnet sich durch sechs reine und sechs alterierende (2/12 pK)-Quinten aus. Alle Großterzen sind gleich groß. Sie lässt sich recht einfach stimmen. Beginnend mit a=0 cent, bekommt b =-2 cent, h =0 cent, c =-2 cent Abweichung u.s.w. von der gleichstufigen Stimmung. So werden die 14 cent des pythagoräischen Kommas auf den ganzen Quintenzirkel verteilt und es bleiben alle Tonarten gleich gut spielbar. Diese Stimmung strahlt im Vergleich zur gleichstufigen Stimmung eine besondere Ruhe aus. Dissonanzen zu spielen und aufzulösen wird ein bemerkenswertes Klangerlebnis. Professionelle Musiker hören sehr wohl, dass das Instrument anders klingt, können aber keinen Unterschied in der Stimmung ausmachen, denn Verstimmungen sind erst ab etwa 4 cent Abweichung wahrnehmbar. Diese Stimmung ist nicht nur für Orgeln interessant, sondern lässt sich auch vorteilhaft für Cembali einsetzen und ist mittlerweile auch regelmäßig konzertant im Gebrauch.
Über Stimmungen gibt es zahlreiche Veröffentlichungen in Büchern und im Internet. Als Buch zum Vertiefen kann ich „125 musikalische Temperaturen im mikrotonalen Vergleich“ von Jürgen Grönewald, Berlin empfehlen (3 Bände).
Ausführliche cent-Werte zu unterschiedlichen Stimmungsarten finden Sie unter: www.instrument-tuner.com/TemperamentTables_de.html
Eine gute Stimm-App zum Selberstimmen für Smartphones ist „Cleartune“.
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